Spaziergang durch das historische Albenga

Albenga von Luise Lüddecke

Übersichtskarte Ligurien

Heute möchte ich Ihnen die Stadt Albenga vorstellen, die ich zum ersten Mal vor etwa acht Jahren kennenlernte. Albenga liegt an der Riviera di Ponente oder Riviera delle Palme, wie sie auch genannt wird, etwa 90km westlich von Genua an der Mündung des Flusses Centa.

In Albenga leben zur Zeit etwa (…) Einwohner auf einer Fläche von 36km².

Tabula peutingeriana nach einer Darstellung aus dem 4. Jh.

Mit der ältesten Bezeich- nung Albingaunum (am linken Bildrand), welches Stadt der Ingauner bedeutet, ist sie auch auf dieser berühmten Tages- Etappenkarte verzeichnet. Jeder senkrechte Versatz in der Linie der Verbindungen stellt eine Tagesreise dar. Dort gab es jeweils die Möglichkeit, Pferd und Reiter mit dem Nötigsten zu versorgen.

Nekropolen

Unser Spaziergang soll auf der Strada Romana zwischen Alassio und Albenga beginnen. Dort kann man noch heute zahlreiche Überreste der römischen Nekropolen sehen und gleichzeitig einen wunderschönen Ausblick auf die Insel „Gallinaria“ genießen. Ihre Bezeichnung erhielt sie von den dort zahlreich lebenden wilden Hühnern.

Glasschätze

In den Gräbern der Nekropolen, die sich bekanntermaßen an den Hauptstraßen außerhalb der Stadt befanden, hat man zahl- reiche kostbare Gläser, Spiegel und Gebrauchsgerät gefunden, die vom Wohlstand der Bürger im 1. und 2.Jh. zeugen. In einigen der Gräber wurden mehr als 10 gläserne Objekte gefunden.

Il piatto blu

Das kostbarste Stück ist in jedem Fall „Il piatto blu“, ein großer Teller aus kobalt- blauem Glas mit einer außer- gewöhnlichen Darstellung zweier tanzender Putten, die als Negativ-Relief in die Rückseite der Platte eingra- viert wurden. Außer dieser Platte ist weltweit nur noch ein ähnlich wertvolles Stück bekannt, das in einem Fürstenpalast in Afghanistan gefunden wurde. Dabei wird vermutet, dass beide Platten in Alexandria hergestellt worden sind, das zu damaliger Zeit ein Zentrum der Glasproduktion war.

Schiffe

Diese herrlichen Objekte sind aber nur ein Teil der römischen Funde auf dem Gebiet der Stadt: Man hat in den fünfziger Jahren des letzten Jh. wenige Kilometer von der Küste entfernt ein weitgehend erhaltenes römisches Frachtschiff entdeckt, das mit 10.000 Amphoren an Bord gesunken war. Die Ladung bestand aus spanischem Wein, Nüssen, Öl und Getreide. Im nautischen Museum der Stadt, das dem Institut für Meeresarchäologie angeschlos- sen ist, finden sich interessante Artefakte aus den Funden im Meer.

Römische Spuren

Bevor wir in den Mauerring der römischen Stadt eintreten, werfen wir auf dem Weg von den Nekropolen einen Blick auf die im Flussbett des Centa (der heute westlich der Stadt verläuft und nicht wie zu römischer Zeit östlich) erkennbaren Spuren des Aquädukts und der Thermen. Sie wurden schon früh mit einer christlichen Kirche überbaut, von der aber auch nur noch Mauerreste erhalten sind.

Centro storico

Albenga war Municipium mit eigener res publica, das sich von Finale bis San Remo er- streckte. Die Stadt war durch eine Mauer und vier Tore gesichert, deren Lage noch heute hervorragend erkennbar ist.

Die erste Blütezeit der Stadt ging zu Beginn des 5.Jh. durch Überfälle der Goten und Van- dalen zu Ende. Doch schon 417 wurde Albenga von Constantius, Gatte der Galla Placidia, neu befestigt.

Christliches Albenga

Wenige Jahre später wurde das Christentum in Albenga bezeugt, bereits 451 ist ein Bischof bekannt und das Bap- tisterium, dessen Basis jetzt 2,5m unter heutigem Straßen- niveau liegt, ist ein lebendiges Zeugnis dieser frühchristlichen Zeit. Es ist außen ein unregel- mäßiges 10-Eck und innen ein Oktogon. Die Reste der Mosa- iken im Inneren lassen unmit- telbar die Verwandtschaft mit dem Mausoleum der Galla Placidia in Ravenna erkennen.

Baptisterium

Das jetzige Dach wurde bei einer Restaurierung um 1900 errichtet, ursprünglich gab es dort eine Kuppel, die ihr relativ geringes Gewicht der Verwen- dung zahlreicher Amphoren verdankte, wie es in byzan- tinischer Zeit für die Konstruk- tion von Kuppeln üblich war. Aus langobardischer Zeit (8.Jh.) stammen die Fenster- verzierungen und der Sarko- phag im Eingangsbereich.

Stadtentwicklung

In den folgenden Jahrhun- derten wechselte die Herr- schaft mehrfach; Albenga wurde 971 von den Saraze- nen erobert, die nur in langen Kämpfen vertrieben werden konnten. Endlich im 11.Jh. Begann die Wiederbelebung von Handel und Wirtschaft. Wegen der Teilnahme am 1. Kreuzzug 1098 erhielt die Stadt vom König Balduin in Jerusalem zahlreiche Privilegien. Durch Kriege und ungeschickte Allianzen gab es jedoch schon bald wieder herbe Rückschläge in der Stadtentwicklung.

Palazzi

Doch die Stadt erblühte in der zweiten Hälfte des 13.Jh. wieder. Im Jahr 1288 wurden die Gemeinde- statuten verfasst und die wichtigsten Türme und Paläste in dieser Zeit errichtet. Infolge der Streitigkeiten zwischen Guelfen und Ghibellinen um 1300 wurde die Stadt wieder einmal geschwächt, schließlich wurde sie französisches Staats- gebiet. Nach dem Verlust der Selbständigkeit war die Stadt unter der Herrschaft. Mailands, Genuas und Savoiens, konnte aber 1553 ihre Stadtmauer als Bollwerk gegen die Einfälle der Osmanen auf den mittelalterlichen, sprich römischen, Strukturen verstärken.

Dornröschenschlaf

Ein Tiefschlag wurde der Stadt in der Folge der französischen Revolution durch den Niedergang der Aristokratie versetzt, die über die Jahrhunderte Hand in Hand mit den Bischöfen stets die Entwicklung Albengas gefördert hatte. Die mit dem Status als Provinzhauptstadt unter der Herr- schaft Savoiens verbundenen Privilegien wurden in zwei Stufen, 1863 und 1927, aufgehoben und Albenga wurde Teil der Provinz Savona, was die Stadt in ihrem Mark traf. Das hatte einen erneuten Dornröschenschlaf zur Folge.

Stadtzentrum

Dieser Dornröschenschlaf ermöglicht uns heute, in der Altstadt auf den Spuren des castrum römischen Ursprungs wandeln zu können. Die Hauptachsen, decumanus maximus und cardo maximus sind heute noch erkennbar. Sie beruhen auf der Bautätigkeit Constantius in der ersten Hälfte des 5.Jh. nach der Zerstörung durch die Barbaren. In unmittel- barer Nähe zum Baptisterium und Dom liegt der Palazzo Vecchio mit seiner offenen Loggia aus dem frühen 15.Jh., wo verschiedene Funde präsentiert werden.

Kathedrale

Neben dem Turm des Palazzo Vecchio ragt der Glockenturm der Kathedrale in den Himmel Alben- gas. Er ist über dem romanischen Sockelgeschoss in spätgotischer Zeit in Ziegelmauerwerk errichtet und bildet durch die Verwendung der Zwei- und Dreibogenfenster ein harmonisches Bild mit den benachbarten Türmen. Die Kathedrale selbst ist ein Nachfol- gebau der bereits im 5.Jh. mit dem Baptisterium errichteten Kirche. Sie birgt noch romanische und langobardische Reste.

Langobardische Fassade

Von den langobardischen Verzierungen der Kathedrale fallen diese Skulpturen über dem Hauptportal am stärksten ins Auge.

Hervorzuheben ist noch die Apsis mit einem bezaubernden kleinen Platz, den drei inzwi- schen zahnlose Löwenskulp- turen schmücken. Diese piazza dei leoni wird außer von der Apsis vom Palazzo Costa beherrscht.

Palazzo Costa und Piazza dei leoni

Die Grundmauern des Turms gehen auf das 12.Jh. zurück, die oberen Geschosse auf den Beginn des 14. Jh. Auch die Rückseite des Palazzo Costa lässt noch die ursprüngliche Schönheit und Bedeutung des Palastes erkennen.

Im Westen der piazza dei leoni erhebt sich der Palast Balestrino, der jetzt Bischofssitz ist und auch ein Museum beherbergt. An dieser Stelle war früher das Forum Calligariorum, Markt der sehr bedeutenden Schuhmacher-Innung. Der heutige Palast ist ein Zeugnis verschiedener Bauphasen vom Spätmittelalter bis zur Renaissance.

Kulturelles Leben heute

In heutiger Zeit arbeiten engarierte Bür- ger an einem reichen kulturellen Ange- bot. In Albenga wurde 1989 die Gruppe

„I Fieui di Caruggi“ gegründet. Die Bezeichnung heißt übersetzt etwa: Söhne der Steinschleudern und bedeu- tet, dass Albenger Bürger sich an das Albenga ihrer Kindheit erinnern und für neues kulturelles Leben begeistern und einsetzen. Die Veranstaltungen finden in den historischen Häusern Albengas statt, seien es Konzerte, Lesungen, Film- vorführungen, Tanzabende, Rezitationen etc. und sind für die Besucher kostenfrei zu erleben. Auch ich war mit allen Zuhö- rern von einem Konzert im Palazzo Scotto-Nicolari begeistert.

Gutes Leben

Zum guten Leben in Albenga gehören auch ein Olivenölher- steller, der seinen Kunden das antike Gebäude öffnet und alte Gerätschaften ausstellt sowie die Märkte auf der Piazza del popolo unter Palmen und Spezialitätengeschäfte, wo pesce, dolce, pasta, salumi, carne, verdure, frutti, herbe in bester Qualität angeboten werden.

Prozessionen

Am 29. Sept. haben wir die Prozession zu Ehren des hl. Michael miterlebt, der der Schutzheilige der Kathedrale ist. Besonders beeindruckt war ich von den Kreuzträgern. Unsere Vermieter berichteten, dass die Kreuze ein Gewicht von 120 bis 130kg haben. Die Männer trainieren regelmäßig, damit sie mit der Last gehen können. Besondere Aufmerksamkeit ist gefor- dert, wenn sie vor der geöffneten Tür der Kirche Sta. Maria in fontibus sich mit dem Kreuz drehen müssen, die Knie zum Gruß beugen und sich dann wieder aufrichten und zum Weitergehen abermals drehen müssen.

Kirchliche Traditionen

Schon Kinder nehmen mit kleine- ren Kreuzen an der Prozession teil. Mehrere Tage zuvor ist ein großes Fest um die Kathedrale auf dem Gelände des ehemaligen Kreuzgangs organisiert mit Los- buden, Essen, Trinken, Vorlese- Aktionen und viel Musik. Die zweite Prozession war der Rosen- kranz-Madonna gewidmet. Ähnliche Prozessionen finden so überall im ligurischen Kulturraum statt, der sich von Genua bis Nizza als einheitlich, auch in Bezug auf die Sprache, empfindet.

Östlich des ponte lungo

Zum Abschluss des Spaziergangs durch Albenga zeige ich Ihnen eine romanische Kirche, die etwas einsam in den Gärten östlich des ponte lungo auf der Trasse der antiken Römerstraße (via Aurelia und nicht via avrelia, wie mein Navi behauptete) liegt. Es ist San Giorgio di Campochiesa inmitten neuzeitlicher Nekropolen. Sie beherbergt u.a. ein „Jüngstes Gericht“ von 1446 mit einer im ligurischen Raum einzigartigen Darstellung aus dem 23. Gesang von Dantes „Göttlicher Komödie“ und zeigt das Treffen von Dante und Virgilio mit dem Herzog Ugolino, der im Begriff ist, den Kopf des Erzbischofs Ruggieri zu verspeisen.

San Giorgio di Campochiesa

Nach einem Erdbeben drohte die Kirche zu verfallen und man beabsichtigte, die Fresken abzunehmen und in ein Museum zu transferieren. Den Kunsthistorikern gelang es trotz aller Bemühungen nicht, die Fresken von der Wand zu lösen und so blieb nur die Möglichkeit, die Kirche wieder in Stand zu setzen. In der Sakristei ist im dortigen Altarfresko ein bei dem letzten Erdbeben entstandener breiter Spalt zu sehen.

Abschied von Albenga

Leider kann ich hier nur einen kleinen Teil der Schätze Albengas vorstellen. Also wünsche ich jedem Besucher der Stadt ebensoviel Entdeckerfreude wie ich sie hatte. Vielleicht treffen wir uns eines schönen Tages dort!

Luise Lüddecke